Im Untersuchungsausschuss (UNA) 20/1, der zum dem Mord an Regierungspräsident Dr. Walter Lübcke ermittelt, hat heute der Journalist Joachim Tornau als Sachverständiger die Entwicklung der rechtsextremen Szene in Kassel während der vergangenen 20 Jahre nachgezeichnet. Tornau machte dabei deutlich, dass Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit sich weder mit zunehmendem Lebensalter der Szenemitglieder „auswachsen“ noch anderweitig von selbst verschwänden.
Der SPD-Obmann im Untersuchungsausschuss Günter Rudolph sagte, neben der Kontinuität innerhalb der extrem rechten Szene gebe es auch eine direkte Kontinuität im politischen Versagen der zuständigen CDU-Innenminister seit 1999: „Schon Volker Bouffier wollte als Innenminister keine organisierten Rechtsextremisten wahrnehmen, zum Beispiel im Schwalm-Eder-Kreis. Diese fatale Politik des Wegsehens und Negierens haben seine Nachfolger im Amt, Boris Rhein und Peter Beuth, in der typischen Manier der hessischen CDU weitergeführt.“
In Nordhessen gäre seit rund 20 Jahren ein rechter Sumpf, der bis heute nicht trockengelegt worden sei, so Rudolph. Die Morde an Halit Yozgat und Dr. Walter Lübcke seien beklemmende Fanale dieser rechtsradikalen Szene gewesen. Aber auch die anderen rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten im Land dürften weder vergessen noch gering bewertet werden.
„Der Mann, der als Mörder von Dr. Walter Lübcke überführt und verurteilt wurde, und seine Helfer waren über viele Jahre in der rechtsextremen Szene von Kassel und Umgebung aktiv. Sie haben politisch motivierte Straftaten begangen, bis hin zu dem versuchten Mord an Ahmed I., einem Nebenkläger im Lübcke-Prozess. Es brauchte eine große Bereitschaft zum Wegsehen, um die Mär vom ‚abgekühlten‘ Gewalttäter zu glauben, den Eheschließung, Frau und Kinder zu einem friedlichen Bürger gemacht haben sollten. Es ist unbegreiflich, wie das Landesamt für Verfassungsschutz zu dieser Fehleinschätzung kommen konnte“, sagte Günter Rudolph.
Dass es Dr. Walter Lübcke sein würde, der als Ziel eines perfiden rechtsextremistischen Mordanschlags ausgewählt wurde, sei nicht vorhersehbar gewesen. Das gesellschaftliche und politische Klima, das über die sozialen Medien mit Hass und Hetze vom rechten Rand aufgeladen worden sei, habe aber rechtsterroristische Anschläge befördert und hätte die Sicherheitsbehörden anders sensibilisieren müssen, so Rudolph, der sagte: „Rechtsextremismus findet nicht in einer Parallelgesellschaft statt, sondern knüpft an die Mitte der ‚normalen‘ Gesellschaft an. Es gibt hinreichend Beispiele dafür, wie rechtsextremes Gedankengut in die selbsternannte ‚bürgerliche Mitte‘ Einzug gehalten hat. Von der AfD ganz zu schweigen, die rechten und rechtsextremen Bestrebungen einen großen Resonanzboden bietet und in ihren Reihen sogar an führenden Stellen Personen duldet, die gerichtsfest als Faschisten bezeichnet werden dürfen. Alle, die sich daran beteiligen, betreiben letztlich das Geschäft derer, die einen anderen Staat wollen – notfalls mit Gewalt. Ihnen die Stirn zu bieten ist die Verpflichtung aller Demokraten.“