Im Spannungsfeld zwischen Orts-und Landespolitik
Der Ortsverein Schlüchtern der SPD hatte insbesondere die Ortsbeiräte (aktive oder ehemalige) sowie weitere Kommunalpolitiker im Altkreis Schlüchtern zur Mitfahrt in den Landtag aufgerufen. Damit sollte besonders an 50 Jahre Ortsbeiräte im Bergwinkel bzw. in Hessen erinnert werden. Deren Arbeit unmittelbar am Bürger wird allzu oft nicht ausreichend gewürdigt, und geht oftmals mit Frustration einher.
Aus Sinntal, Schlüchtern und Steinau stammten dann die insgesamt 23 Mitreisenden, um mit Bus die Tagesfahrt nach Wiesbaden anzutreten. Und es wurde daraus ein vergnüglich bis spannender Besuchstag in der Landeshauptstadt, initiiert, geplant und geleitet von Rudi Mihm, der dabei vom Vorsitzenden des SPD OV Schlüchtern Thomas Bertholdt unterstützt wurde.
Nach der Ankunft begann der Spaziergang durch das „schicke“ Wiesbadener Zentrum, einst als Weltbadeort gerühmt, mit dem Kurhaus und dessen Herzstück, dem „Friedrich von Thirsch“-Saal, als Ausgangspunkt. Der Weg führte dann zum Kranzplatz vor der Staatskanzlei, wo jeder Teilnehmer das 67 Grad heiße Wasser des Kochbrunnens kosten konnte. Schon die Römer labten sich daran. Durch die sog Altstadt kamen wir zum Schlossplatz mit dem heutigen Landtag und dem imposanten Rathaus nebst der evangelischen Marktkirche aus Backstein.
Der erste politische Termin führte uns ins altehrwürdige Landeshaus, dem Sitz des Hess. Ministeriums für Wirtschaft, Umwelt, Verkehr und Bauen, geführt von Minister Tarek Al – Wazir, zugleich Stellvertreter des Ministerpräsidenten. Wir wurden in einen holzgetäfelten Konferenzraum geleitet, wo bereits der Abteilungsleiter für Verkehr und Straßenbau, sein Stellvertreter und ein weiterer Mitarbeiter uns erwarteten. Das vorbesprochene Themenfeld war: Die Ortsdurchfahrt Herolz auf der L 3180 (und weiter bis Sinntal) als über 30 Jahre altes Ärgernis aus Anliegersicht: Tagtäglicher Lärm und Raserei. Dazu gab es bekanntlich eine Reihe von Treffen am Herolzer Lärm Spot im Verlauf des Jahres 2021.
Die fast 2-stündige Diskussion mit den Ministerialbeamten über die vor Ort in Schlüchtern und anderen Gemeinden in den vergangenen Jahren beobachtete Verkehrspolitik des Landes war durchaus informativ, wenn auch unter dem Strich sehr „ernüchternd“. Wir erführen die Gründe für die Ablehnung des von den Ortsgrünen unterstützten Verkehrsversuchs mit Tempo 40 durch Herolz durch das Regierungspräsidium Darmstadt aus rein verkehrsjuristischer Sicht: Selbst, wenn dieser Versuch positive Ergebnisse gezeigt hätte, wäre aus jetziger Sicht dieser am Ende ohne eine Chance für eine Fortführung geblieben. Somit konnte für die Gruppe erkennen, wie an diesem konkreten Beispiel Herolz das Spannungsfeld zwischen Orts- und Landespolitik sich darstellt. Hessen orientiere sich ausschließlich an der geltenden Gesetzeslage, bestimmt durch höherrangig Bundesgesetze. Auf die weitergehende Frage, wie das Ministerium die vielen aktuellen Verkehrsbeschränkungen innerorts grad auch als Lärmschutz, in anderen Bundesländern bewerte -die von den oberen Verkehrsbehörden in anderen Ländern genehmigt werden – wurde uns eine Antwort verweigert. Denn immer mehr Tempo 30 oder 40 Regelungen in Ortslagen werden in den Bundesländern um Hessen herum genehmigt. Wir haben unser Unverständnis zu dieser „legalistischen Haltung deutlich bekundet, die ein neues Spannungsfeld im Bereich Verkehrspolitik zwischen den Bundesländern schafft. Die im Berliner Koalitionsvertrag festgeschriebene Flexibilisierung der Straßenverkehrsordnung für örtliche Maßnahmen („mehr Beinfreiheit für die Ordnungsämter“) steht im Verkehrsausschuss des Bundestags derzeit nicht oben auf der Tagesordnung der Ampel-Parteien.
Fazit: Die hessische Verkehrspolitik unter den Grünen ist derzeit nicht bereit, örtlich positiv mitzugestalten zum Wohle des Schutzgutes MENSCH, sondern es wird leider allzu oft nur „rechtssicher“ verwaltet, ohne eine Spur von Gestaltungswillen.
Der Besuch der Gruppe im Landtag am Nachmittag sollte ein weiterer Höhepunkt des Mottos geleiteten Wiesbaden-Besuchs werden. Nach einem Einführungsvortrag und Verfolgung der Landtags-plenarsitzung von der Besuchertribüne aus, wo wir auch Minister AL Wazir am Rednerpult sehen konnten, trafen wir in einem Sitzungssaal Abgeordnete aller im Landtag vertretenen Parteien., u.a. Heinz Lotz von der SPD und Michael Reul von der CDU. Doch die verfügbare Zeit der Landtagsabgeordneten war viel zu knapp, um über die Ortsbeiräte und deren Arbeit für die Bürger mit den Landespolitikern breiter zu diskutieren. Es standen laufend Abstimmungen für Gesetze an, die Fraktionsvertreter waren auf Abruf für anstehende Abstimmungen.
Daher wurde der Steinauer Delegation Gelegenheit gegeben, ihr brennend-aktuelles Haushaltsproblem dazulegen, was aufgrund einer unerwarteten vorläufigen Gewerbesteuerzahlung in Höhe von 12,1 Mio. Euro auftrat, die wiederum durch die bestehenden Regelungen für den kommunalen Finanzausgleich neutralisiert werde. Nur der CDU- Abgeordnete konnte sich dazu mit seiner Sachkenntnis äußern, wenn auch aus Sicht der Steinauer Teilnehmer unbefriedigend. Zudem verwiesen die Steinauer auf den Widerspruch zwischen Aufgabenverteilung durch Land und Bund auf die Gemeinden (z B Kindergärten, Flüchtlingsunterbringung) ohne dazu die erforderlichen Finanzausstattung zu gewährleisten. Das sogenannte „Konnexitätsprinzip“ in der hessischen Verfassung werde ständig verletzt („wer die Gesetze erlässt, müsse auch für die anfallenden Kosten auf Gemeindeebene aufkommen!“). Die Gemeinden müssten viel zu viele Kosten Schultern, ohne Rücksicht auf die örtlichen finanziellen Verhältnisse bzw. ohne Kostenausgleich).
Anschließend ging es zurück nach Schlüchtern, mit einem Umtrunk im Bus, und mit dem Gefühl bei dem einen oder anderen Teilnehmer, einen kleinen Einblick in den hessischen Politikbetrieb gewonnen zu haben. Doch auch mit dem Bedauern, dass die dichte Tagesordnung im Landtag keine ausreichende Aussprache mit den Abgeordneten zugelassen hatte. Es wurde jedoch angeregt, weitere Themenfahrten nach Wiesbaden zu planen